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Reicht „Wissensmanagement“? … Oder sollte man „Lern-Management“ mitdenken?

21. Oktober 2012

Wissensmanagement plus Lernmanagement

„Pluralism“ von Marcel Ceuppens

Zugegeben, die Frage im Titel ist rein rhetorisch gestellt. Die Antwort sollte aus meiner Sicht „Ja“ lauten. Denn einerseits ist Wissensmanagement heute wieder ein gebräuchlicher Begriff, jede Firma betreibt es in irgendeiner Form. Das ist auch gut so. Allerdings möchte ich anregen darüber hinaus auch über über das Management von „Lernen“ nachzudenken.

Seit einiger Zeit nämlich wächst mein Unbehagen am Begriff „Wissensmanagement“, der mich seit Jahren begleitet. In der Auseinandersetzung mit dem Begriff „Collaboration“ – in Abgrenzung zu Wissensmanagement und Enterprise 2.0 – ist es mir als erstes aufgefallen: Mir fehlt hier was! Wir sprechen viel über Zusammenarbeit und das Management bereits vorhanden Wissens. Und auch darüber wie dieses vorhandene und explizit gemachte Wissen in die Arbeitsprozesse  eingebunden werden kann. Aber wir sprechen kaum darüber woher das neue Wissen kommt.

Groß war mein Vergnügen daher zu sehen dass auch andere dieses Unbehagen teilen. Im Insights HD-Blog machte sich Friedrich A. Ittner im Artikel „AKWM Symposium und KnowledgeCamp 2012 – eine kritische Auseinandersetzung“ ebenfalls Gedanken in diese Richtung:

[…] Hinzu kommt, dass ich mich zunehmend vom Thema Wissensmanagement als “Leitdisziplin” distanziere. Ich denke es geht um Lernen, es geht um Kultur … und für mich im speziellen um “Lernkultur”. All die Tools sind nützlich, und Medien prägen unser Leben, so wie die Technik unsere Gesellschaft prägt. Doch zu oft geht es im Wissensmanagement um mechanistische Ansätze, um klare Prozessbeschreibungen die aber die Haltung, die Einstellung der Menschen außen vor lassen. Dabei fällt auf, dass nicht nur Neulinge von “Wissensdatenbanken” und “Wissenstransfer” zwischen “Wissensarbeitern” sprechen […]

Grenzen des IT-gestützten und interpersonalen Wissensmanagements?

Mir geht es ähnlich wie Hrn. Ittner, vermutlich aus einer anderen Perspektive. Um meinen Standpunkt etwas zu verdeutlichen habe möchte ich ein paar Gedanken zu den Grenzen von IT-gestütztem und interpersonalem Wissensmanagement skizzieren:

IT-gestütztes Wissensmanagement

Mich als Sharepoint-Consultant treibt die Frage um, wie genau eine IT-Umgebung, ein Intranet, aussehen sollte, damit Mitarbeiter möglichst effizient ihren Job tun können? Was ich sehe sind …

  • Datenbankartige Lösungen, dazu gedacht Informationen möglichst gut aufbereitet und möglichst gut verknüpft darzustellen. Als Nachschlagebasis im Bedarfsfall.
  • Abgeschlossene Arbeitsräume für Teams und Projekte, plus interne Suchmaschine, die die Inhalte wieder zentral auffind- und filterbar macht
  • Activity Streams, die weniger Dokumenten- sondern eher Personen-zentriert ähnlich wie z.B. auf Facebook Aktionen anderer Mitarbeiter aggregieren, plus interne Suchmaschine – siehe auch meinen kürzlich erschienen Artikel zu Activity Streams.
Robert Freund: Erweiterte Wissenstreppe

Eweiterte Wissenstreppe

Das ist richtig und wichtig, aber „Wissen“ wird damit aus meiner Sicht nicht abgebildet. IT ist Information Technology. IT kann Informationen managen. Für sich gesehen ist das eine tolle Sache. Aber  Wissen steckt bekanntlich ausschließlich „zwischen den Ohren„. Alles andere, irgendwie verschriftlicht, ist nur Information – siehe auch die Gedanken zur erweiterten Wissenstreppe. Wenn man ausschließlich aus IT-Sicht über Wissen nachdenkt, ist es naheliegend Information mit Wissen gleichzusetzen

Interpersonales Wissensmanagement

Hinzu kommt aus meiner Sicht, dass das weite Feld des Wissensmanagements auch Handlungen / Prozesse umfasst, die mit Informationstechnologie gar nichts zu tun haben. IT-gestützte Lösungen sind immer nur ein Teil eines umfassenden Wissensmanagements, klar. Die von mir geschätzten Leute von „Wissenswerk“ gingen kürzlich in deren Blog der Frage nach „Was ist ein Wissenstransfer und wie funktioniert´s?„. Ich zitiere aus dem Fazit:

  • Wissen ist immer an Menschen gebunden
  • Die Vorbereitung des Senders ist genauso wichtig wie der Wissenstransfer an sich
  • Dokumentationen in schriftlicher Form sind hilfreich, aber zur Wissensvermittlung nur bedingt geeignet
  • Sender und Empfänger brauchen eine Vertrauensbasis und begegnen sich auf gleicher Augenhöhe
  • Beide Partien brauchen die Bereitschaft Neues lernen zu wollen
  • Beiden ist bewusst, dass jeder Mensch anders lernt

Dabei wird deutlich, dass Wissen eben an konkrete Menschen gebunden ist. Mein Problem mit dem Begriff „Wissensmanagement“ wird hier ganz gut deutlich: Damit so ein Transfer stattfinden kann müssen Sender und Empfänger definiert sein. Das zu transferierende Wissen benannt und erfasst sein. Und damit Wissen benannt werden kann, muss die Anforderung klar sein, ein Use Case. … Aber warum ist das ein Problem? Was fehlt?

Vergangenheit, Gegenwart und zukünftige Anforderungen

„Wir sprechen viel über Zusammenarbeit und das Management bereits vorhanden Wissens. Und auch darüber wie dieses vorhandene und explizit gemachte Wissen in die Arbeitsprozesse  eingebunden werden kann. Aber wir sprechen kaum darüber woher das neue Wissen kommt„. Zitat erster Absatz.

IT kann aus meiner Sicht zwei Dinge in diesem Zusammenhang: IT kann Informationen managen, die bereits vorhanden sind, kann über Metadaten und semantische Verfahren Kontexte aufbauen und durch Suche bereitstellen. Und sie kann Kanäle zur Verfügbarmachung von neuen Informationen  bereitstellen, damit möglichst diejenigen diese Informationen erhalten, die sie betreffen. Aber die Informationen müssen vorhanden sein. IT allein schafft damit auch kein neues „Wissen“. Und auch Wissensmanagement-Methoden wie der „Wissenstransfer“ haben hier ihre Grenze: Möglich ist die Weitergabe dessen was schon da ist, oder gedacht werden kann.

>>> Die mentale Herausforderung besteht aus meiner Sicht darin, dass das was wir in Organisationen als wichtiges „Wissen“ definieren, Antworten der Gegenwart auf Anforderungen der Vergangenheit sind – oder bestenfalls Gegenwart. Diese Gewissheiten übertragen wir auf die heutige Vorstellungen von den Anforderungen von morgen. Das ist linear gedacht.

Der Mensch denkt linear. Das ist ok, so sind wir. Leider ist aber die Welt nicht so. Sie funktioniert nicht linear, sondern unter Bedingungen der Komplexität und Emergenz.

Daraus folgt jedenfalls für mich, dass alle Aussagen über zukünftige Herausforderungen immer nur eingeschränkte Gültigkeit haben, allein weil wir nicht-lineare Ereignisse nicht denken können. Die Konsequenz für ein umfassendes „Wissensmanagement“ wäre dann folgende:

Das Management von bereits vorhandenen Informationen und Wissen muss ergänzt werden um die systematische Entwicklung von neuem Wissen und neuen Informationen! Ein Lern-Management eben.

***

Die IT kann vielleicht eher weniger einen Beitrag zum Wissensmanagement leisten, aber sicher zu einem Lernmanagement-System. Die schon oben genannten Activity Streams sind eine Möglichkeit soweit es geht Gespräche zwischen Menschen zu simulieren. Auch meine Artikel über Collaboration (hier und hier) gingen bereits in diese Richtung, ebenso wie z.B. dieser Artikel über Sharepoint-Wikis.

***

Schlussfolgerung:

„Lern-Management“ ist zumindest für mich ein Begriff mit dem ich voraussichtlich mittelfristig arbeiten werde – ein Modell um Szenarien zur Entwicklung des organisationalen Wissens zu denken. „Wissensmanagement“ deckt für meinen Geschmack zu sehr das Management des Bestehenden, nicht aber die Entwicklung des Neuen ab. Lernmanagement stellt dabei übrigens für mich Wissensmanagement nicht in Frage, für mich haben beide Begriffe nebeneinander ihre Existenzberechtigung.

Und im Übrigen meine ich dass wir für ernstgemeintes Lernmanagement weder neue Technik noch neue Methoden entwickeln müssen. Ich denke eher dass die Herausforderung eine mentale Herausforderung ist: den eigentlich schon ausgelutschten Satz von der „lernenden Organisation“ ernst zu nehmen:

  • Entsprechende Räume im Büro bereitstellen
  • Entsprechende digitale Räume bereitstellen
  • Prozesse darauf ausrichten
  • Unternehmenskultur

Dann kommen wir auch aus meiner Sicht zu dem was unter „Enterprise 2.0 / Social Business“ diskutiert wird. Die folgende Graphik ist vom April 2012, vermutlich würde ich den Lernaspekt heute stärker in den Vordergrund stellen:

 

9 Kommentare leave one →
  1. 24. Oktober 2012 17:01

    Sehr geehrter Herr Höfer,
    Ihre Überlegungen finde ich sehr umfassend, viele sehr spannende Aspekte treten hervor und werden auf spannende Weise kombiniert. Mir fehlt die Zeit auf diese doch sehr spannende Komposition angemessen einzugehen, drum möchte ich nur eine Anregung einstreuen.

    Denn von einem Management von Lernen zu sprechen oder von Lernmanagementsystemen ist eine ähnliche Richtung wie von Wissensdatenbanken zu phantasieren. Das Lernen von Menschen kann mit einem mechanistischen „Managen“ kaum geleistet werden. Wir als Lernbegleiter, Lernhelfer, Coaches oder wie auch immer wir uns sehen können nur Rahmenbedingungen schaffen. Können die Chance, dass gut (was auch immer das genau heißt) gelernt wird erhöhen.

    Entsprechend würde ich mich sehr freuen wenn wir zusammen einen besseren Begriff als Lernmanagement finden. Was schlagen sie vor?

    Beste Grüße aus Heidelberg

    FAI

  2. 25. Oktober 2012 13:16

    Hallo Hr. Ittner,

    danke für nette Reaktion auf den Artikel. Inhaltlich bin ich leicht anderer Meinung als Sie, und ich glaube das hat damit zu tun dass ich als IT-Consultant arbeite, und nicht als „Lernbegleiter, Lernhelfer, Coach“ 😉

    Ich gebe Ihnen völlig Recht, dass auch ein neuer Begriff wie „Lernmanagement“ nicht davor schützt mechanistische Lösungen zu denken. Das wäre nicht wünschenswert. Aber dem Begriff „Lernmanagement“ stehe ich doch offener gegenüber. Zum einen hat das mit dem Begriff selbst zu tun. „Wissen“ ist etwas das man hat, und das entwickelt werden kann. Die Konnotation von Wissen ist vermutlich: „relativ statisch“. Demgegenüber ist der Begriff „Lernen“ immer etwas dynamisches. Ein Vorgang. Da passiert was, mit einem Menschen oder gar zwischen Menschen.

    Ich für mich meine dass man diesen dynamischen Prozess namens „Lernen“ durchaus managen kann, indem man Rahmenbedingungen schafft in denen das möglich ist. Das betrifft dann wahlweise die Organisation, die Prozesse oder eben: die IT. Das ist es auch was ich in meinen Artikeln unter dem Oberbegriff „Collaboration“ meine: https://mlhoefer.wordpress.com/category/collaboration/

    Über einen alternativen Ausdruck denke ich mal nach und schreibe dann wieder einen Kommentar 😉 VG, ML Höfer

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