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Flugzeuge aus Stroh: Die Cargo-Kulte der Collaboration

21. Mai 2013

Cargo CultDas Problem

Als ich in der aktuellen Ausgabe des Magazins „wissensmanagement“ einen Artikel über „Wissensmanagement mit SharePoint“ las, musste ich an Flugzeuge aus Stroh denken. Ehrlich jetzt. An Cargo-Kulte. Und das kam so:

Im besagten Artikel schreibt ein Autor über seine Vorstellung eines Wissensmanagement-Systems mit SharePoint. Den fand ich interessant, weil aus meiner Sicht repräsentativ. Der Autor meint kurzgefasst dass SharePoint toll als zeitgemäße Kollaborationsplattform ist, da man damit gut Dokumentenmanagement machen könne, unterstützt durch Social Media. Der Autor ist augenscheinlich fit in Dokumentenmanagement und ECM, keine Frage. Interessant war für mich wie blass die Aussagen über Social Media für Collaboration und Wissensmanagement bleiben. Z.B. über Social Media im System allgemein:

Tools und Funktionen wie Foren, Blogs, Rating, MySites und Wikis fördern die Wissensgenerierung und -bereitstellung im Unternehmen. Mitarbeiter werden animiert, Wissen beizusteuern. […] findet nun durch Wissensaustausch die effektive und effiziente Herbeiführung einer optimalen Lösung statt.

Wie aber kommt das? Warum sind Social Media dahingehend so nützlich? Wie funktioniert das? Wie ist das in einem Gesamtsystem mit Dokumentenmanagement verknüpft? Die Tools werden aufgezählt, aber bleiben schwer zu greifen, was den Mehrwert ausmacht. Besonders bei der Beschreibung des Beitrags von Wikis wird deutlich, dass der ansonsten gute Artikel hier unpräzise bleibt:

Deren Einsatz kann über das Unternehmenslexikon oder Glossar weit hinausgehen. […] Wikis […] gewährleisten, dass vorhandenes und aufwändig generiertes Wissen für alle Mitarbeiter zugänglich ist

Und das war der Moment in dem ich mich gefragt hatte, ob der Autor schlicht a priori von der Nützlichkeit von Wikis überzeugt ist, ohne sich je damit näher befasst und verstanden zu haben. Das Wiki hier als Analogie auf Flugzeuge aus Stroh: Sieht aus wie Flugzeug, soll Flugzeug darstellen, erfüllt aber nicht den Zweck eines Flugzeugs. Ein Cargo-Kult.

***

Cargo Kult 3Was Cargo-Kulte sind

Cargo-Kulte sind ein spannendes Thema, denn es zeigt wie wir als Menschen ticken. Ich sage bewusst „wir“, nehme mich da nicht aus. Wikipedia schreibt zu Cargo-Kulten folgendendes:

Das Kriegsmaterial, das während des Zweiten Weltkrieges massenhaft von der US-Armee auf diese Inseln abgeworfen wurde […], brachte drastische Änderungen des Lebensstils der Inselbewohner mit sich: Sowohl die Soldaten als auch die Einheimischen, die sie beherbergten, wurden mit Materialmengen regelrecht überschüttet. […]

Mit dem Kriegsende wurden die Flughäfen verlassen und kein neues „Cargo“ wurde mehr abgeworfen. Darum bemüht, weiter Cargo per Fallschirm oder Landung zu Wasser zu erhalten, imitierten Kultanhänger die Praxis, die sie bei den Soldaten, Seeleuten und Fliegern gesehen hatten. Sie schnitzten Kopfhörer aus Holz und trugen sie, als würden sie im Flughafentower sitzen. Sie positionierten sich auf den Landebahnen und imitierten die wellenartigen Landungssignale. Sie entzündeten Signalfeuer und -fackeln an den Landebahnen und Leuchttürmen …

***

Cargo-Kulte der Collaboration

Was aber haben Cargo-Kulte mit Collaboration zu tun? Ich denke dass wir uns beim Aufbau von Intranet und Kollaborationsplattformen zurzeit ähnlich verhalten. Heutzutage muss kaum noch begründet werden OB Social Media prinzipiell eine Verbesserung der Unternehmensprozesse bringen kann. Das ist heute, 2013, Mainstream. Aber mal abgesehen von Fachbeiträgen von Wissensmanagement- und Collaboration-Spezialisten nehme ich wahr dass oft noch wenig Bewusstsein dafür vorhanden ist WARUM Social Media im Unternehmen Mehrwert schafft. Und WIE das funktioniert. Gerade auf Kundenseite, also bei den meisten Menschen, und die auf die es ankommt.

Ein typischer Cargo-Kult der Collaboration ist aus meiner Sicht das Wikipedia-Beispiel. Wiki ist gut, weil das weiß man ja. Damit macht man Wissensmanagement. Also stellen wir ein Wiki bereit, am besten ein MediaWiki wie das von Wikipedia, bei mehr Pragmatismus auch gern Confluence. Und wenn es das gibt wollen alle die Möglichkeit nutzen ihr Wissen zu teilen und zu entwickeln. Bei der Wikipedia klappt das ja auch. Und dann stellt man fest dass das nicht passiert. Und versteht es nicht, denn man hat doch alles richtig gemacht …

Cargo Kult 2Form follows Function, das gilt auch hier. Selbstverständlich war es für die Polynesier möglich Flugzeuge und Radarstationen aus Stroh und Blättern nachzubauen. Aber sind es dann Flugzeuge und Radarstationen, oder sehen sie nur so aus? Das gleiche gilt für die Features, die man im allgemeinen mit Collaboration und Wissensmanagement in Verbindung bringt. Nur weil ein Wiki vorhanden ist, und es wie Wiki aussieht, heißt das nicht dass die Voraussetzungen gegeben sind, die aus einer Wiki-Software eine lebendige Community machen.

Das reine Vorhandensein von diesen Features ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber „zu kurz gesprungen“. Das reine Vorhandensein von Features imitiert Collaboration und Wissensmanagement, ohne das Wesen und die Zusammenhänge verstanden zu haben. Und das reine Vorhandensein wird auch nie automatisch die entsprechende Aktivität der Mitarbeiter erzeugen.

***

Ausweg / Vermeidung von Cargo-Kulten

Den einen Weg gibt es nicht, damit die „Flugzeuge“ wieder Cargo bringen. Es gibt nicht den einen Use Case, der dafür sorgt, quasi auf Knopfdruck, dass jetzt Wissen geteilt wird. Dass implizites Wissen erfasst wird. Dass Wissen bewegt, ausgetauscht und erneuert wird. Nutzungsoffenheit von Social Media ist das Stichwort. Das ist Herausforderung und Chance zugleich. Weil Unternehmen soziale Systeme sind, und soziale Systeme immer komplexe Systeme.

Die Features bereitzustellen reicht nicht, man muss sie im Gesamtsystem sehen. Sowohl untereinander, und aus der Perspektive eines Intranet-Reifegradmodells auch mit so grundsätzlichen Dingen wie Dokumentenmanagement.

Letztlich hilft langfristig nur der mühsame Weg des Lernens: man muss sich mit dem Wesen der Features auseinandersetzen. Form follows Function. Welche Eigenschaften haben die Features, und was geht damit, was nicht? Wie grenzen sie sich voneinander ab?

Cargo Kult 4Es geht um den Zweck: Flugzeuge bringen was, aus einem bestimmten Grund. Radarstationen sind da aus einem bestimmten Grund. Antennen, Bodenpersonal, alles. Auch im Unternehmen passieren Dinge aus einem bestimmten Grund, zu einem bestimmten Zweck, aus einem bestimmten Bedarf heraus. Der muss identifiziert werden.

Und dann: Use Cases entwickeln. Welches Wissen benötigt wer wann in welcher Form in unserem Unternehmen? Wie ist es jetzt? Wo ist im Status Quo das Problem? Wie können wir es lösen mit den Features? Das gute alte 5i-Modell z.B. zeigt an einem iterativen Prozess der Wissensgenerierung, wie man da denken kann …

 

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12 Kommentare leave one →
  1. 21. Mai 2013 07:08

    Hat dies auf Das virtuelle CIO-Gespräch rebloggt.

  2. 21. Mai 2013 13:23

    Schöne Analogie!

    … und genau auf den Punkt:

    “ [..] das reine Vorhandensein wird auch nie automatisch die entsprechende Aktivität der Mitarbeiter erzeugen.“

    Eben. Denn Technik zwingt mich weder dazu, sie überhaupt zu nutzen, noch in einer 100%ig vorgegebenen Art und Weise. Die Nutzung von Social Software ist – wie jede Techniknutzung – hochgradig abhängig von ihrem sozialen Kontext. Wie aber das Zusammenspiel aus Sozialiät und Technik funktionert – bzw. funktionieren kann, scheint vielerorts unklar. Anscheinend fehlt erstaunlicher Weise fast flächendeckend die Antwort auf die Frage „Wie funktioniert das?“ – und damit einhergehend scheitern so viele Enterprise 2.0-Projekte. (=> http://stollblog.de/?p=55 )

    Die Features bereitzustellen reicht nicht, man muss sie im Gesamtsystem sehen.“
    Auch hier kann ich nur zustimmen. „Im Gesamtsystem“ bezeichnet sowohl das Verhältnis von technischen Instrumenten und sozialem Kontext als auch das Verhältnis der Tools untereinander.

    Denn, wie Sie so schön schreiben: „Flugzeuge bringen was, aus einem bestimmten Grund. Radarstationen sind da aus einem bestimmten Grund. Antennen, Bodenpersonal, alles.“

    Wikis, SNS, Blogs etc. besitzen bestimmte Eigenschaften, die sie für bestimmte Formen des Handelns prädestinieren – andere jedoch weniger gut unterstützen. Demnach gilt es, verschiedene Tools adäquat aufeinander zu beziehen, sie technisch zu verknüpfen, ihnen jeweils einen spezifischen Sinn zuzuschreiben – und diesen durch eigenes Handeln vorzuleben.

    Das zeigte sich z.B. sehr deutlich in meiner Analyse der internen Social Media Aktivitäten bei der Deutschen Telekom – hier am Beispiel der Wikis und des Social Networks:
    http://stollblog.de/?p=64

    • 21. Mai 2013 20:47

      Hallo Hr. Stoll,

      freut mich den Punkt getroffen zu haben :-). Das erinnert mich daran dass ich Ihre beiden Telekom-Artikel noch lesen wollte. Die sind im Feedreader gespeichert, und warten auf einen Moment der Muse. Für oberflächliche Lektüre sind die nämlich viel zu gehaltvoll …

      Anderes Thema: mir fällt auf dass die URLs Ihres Blogs keine „sprechenenden URLs“ sind, sondern URL die Nummer der Seite wiedergibt. Aus SEO-Gesichtspunkten ist es wirklich empfehlenswert die URL-Anzeige so zu konfigurieren, dass sie den Titel des Artikels wiedergibt – so wie bei mir. Jedenfalls habe ich das mehrfach gelesen und gehört.

    • 22. Mai 2013 09:00

      Hallo Herr Höfer,

      vielen Dank für den Hinweis zu den URLs! Hieran als auch an der Länge meines zweiteiligen Beitrags zur Telekom sehen Sie, dass ich noch ein Newbie bin, was die praktische Nutzung dieses Mediums angeht. In Theorie und Empirie bin ich fit – von den Praktikern lerne ich… 🙂

      Meine Daten geben noch viel mehr her. Ich muss allerdings für den Blog sehr viel Komplexität rauslassen.

      Herzliche Grüße,

      Alexander Stoll

  3. Boandlgramer permalink
    27. Mai 2013 14:18

    Dazu kommt – inbesondere beim Wiki – dass die Wissenweitergabe via Text vor allem ein Rezeptionsproblem ist: Es ist vollkommen egal wie kompetent der Autor und wie richtig seine Inhalte sind; wenn’s der Leser nicht versteht ist’s vergebene Liebesmüh. Die allermeisten potenziellen Autoren in Unternehmen haben keinen blassen Schimmer, wie’s aussehen muss, damit’s die Kollegen verstehen.

    Der Klassiker ist meiner Erfahrung nach, dass einfach Präsentationen in Wikis gekloppt werden (weil die schon da sind), in der Hoffnung, dass die Nukleus und Anreiz für weitere wichtige Informationen sind. Da entstehen bestenfalls wild wuchernde Listen von Begriffen. Am Ende ist der Papierkorb genauso hilfreich wie das Wiki.

    Was ich sagen will: Ohne qualifizierte Moderation und Redaktion funktioniert es nicht – aber da kommt dann ein Qualitätsmanagement-Beauftragter in die Verantwortung (weil’s Dokumentation ja gerne im QM hängt) und dessen Qualifikation ist in der Regel eine ganz andere – meist wieder eine technischer Natur. Oder eine Team-Assistentin… Ein guter technischer Redakteur könnte an der Stelle hilfreich sein – einen guten kriegt man aber nicht zum BAT. Die Latte liegt da ziemlich hoch und wenn man sie reißt, scheitert das ganze Projekt.

    Die Social-Media-Komponente verspricht doch im Kern, dass es billig geht, weil es selbstorganisierend zu sein scheint. Wie Verlage vor 10 Jahren dachten, mit Web 2.0 würden die User nun die Inhalte erstellen, die man nur noch verwalten müsste, um damit wiederum Anzeigenplätze verhökern zu können. Aus diesem Blickwinkel ist die ganze Kollaborations/Social-Media-Melange (und viele CRM-Systeme wahrscheinlich gleich mit) per se Cargo-Kult.

    Und weil das Stroh-Flugzeug so billig ist, wird’s eben gemacht – es schadet ja auch nicht, wenn’s doch nicht von selbst läuft. Aber es diskreditiert eben doch die ganze Idee in einer Belegschaft. Abgesehen davon kann ein Unternehmen nicht den Wettbewerb innerhalb forcieren (was mindestens genauso modern ist), aber die Individuen gleichzeitig auf Kollaboration einschwören. Aber um das zu verstehen, darf man keinesfalls BWL studiert haben. 😉

    • 27. Mai 2013 19:30

      Hallo Boandlgramer,

      ein schöner und ausführlicher Kommentar, der mich sehr freut. Von den vielen Anknüpfungspunkten greife ich mal einen raus:

      Du schreibst dass Social Media im Kern das Versprechen hätte, dass Content billiger wird, weil selbstorganisiert? Ist das so? Ich kann mich nicht erinnern das so explizit je gelesen oder gehört zu haben.

      Was ich in dem Zusammenhang kenne, ist die Hoffnung dass interne Kommunikation schneller und fokussierter geht, und damit günstiger. Ist das damit gemeint?

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