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Der Weg zur Vertrauenskultur: Bis zum „Enterprise 2.0“ dauert es noch etwas

22. Januar 2012
Vertrauenskultur

(C) Microsoft

Von Alexander Stocker fand ich vor kurzem einen (Gast-)Artikel, an den ich nach einem Kundenworkshop letzthin wieder denken musste, als es sinngemäß um folgende Frage ging: „Welche Vorteile haben Mitarbeiter von Enterprise 2.0?“:  Diese Überlegungen teile ich in zwei Artikel auf, sonst würde es für das Format Blog zu lang.

Stocker bezieht sich auf die vorgebliche Marktdurchdringung von Wikis, Weblogs und sozialen Netzwerken im Kontext von Unternehmen (Enterprise 2.0):“Enterprise 2.0: Viele reden davon – wenige tun es auch“… Basierend auf einer Studie von McKinsey berichtet das CIO-Magazin von mittlerweile hohen Verbreitungsraten von Web 2.0-Werkzeugen in Unternehmen“. Stocker macht deutlich dass die vorgestellten Zahlen zum einen nicht repräsentativ seien, zum anderen – man muss es immer wieder sagen – das Vorhandensein der Technik nicht kausal deren (kompetente) Verwendung bedeutet.

„Haben“ ist nicht „Anwenden“. Stocker verwendet eine Art von dreistufigem Reifegradmodell:

  1. Erste Experimentieren mit Social Media im Unternehmen […]
  2. Systematische Einführung und operativer Einsatz von Social Media im Unternehmen […]
  3. Strategischer und langfristiger erfolgreicher Einsatz von Social Media im Unternehmen […]

Gut finde ich an diesem Modell, dass es ergebnisorientierten strukturierten Einsatz der Werkzeuge beinhaltet, und das Vorhandensein einer Strategie (das Wissen Wofür?, und wie das Ziel erreicht werden könnte).

***

Mensch Technik Organisation

(C) Wikipedia, „MTO-Modell“

Wenn ich im nächsten Schritt an das MTO-Modell denke (Gesamtsystem aus Mensch, Technik, Organisation), dann sehe ich in diesem Reifegradmodell die Ebene der „Organisation“ unter der Prämisse dass die „Technik“ vorhanden ist.  Was sie tatsächlich mittlerweile oft ist. Hier sehe ich auch viele Unternehmen. Was fehlt ist aber der Aspekt „Mensch“, den ich synonym zu „Kultur“ verstehe und verwende.

Ich für mich meine, dass „Kultur“ von diesen drei Aspekten der letzte und anspruchsvollste ist.

  1. Die Technik ist relativ leicht besorgt und in den Griff zu bekommen.
  2. Die Entwicklung einer prozessual-orientierten Strategie zu Einführung und Nutzung in die Organisation ist anspruchsvoller, aber auch noch relativ leicht. Denn der Anspruch ist eher handwerklicher Natur, aber sicher weniger auf mentaler Ebene.
  3. Deshalb halte ich den kulturellen Aspekt für den anspruchsvollsten. Diese Ebene ist reflexiv, und verlangt vom Management die Auseinandersetzung mit der eigenen mentalen Grundeinstellung. Mit dem Weltbild, eigenen Erfahrungen, Wünsche und auch Ängsten.

***

Das bringt im nächsten Schritt die Frage mit sich, was denn mit „Kultur“ in dem Zusammenhang überhaupt gemeint ist? Welchen Unterschied der Umgang mit Menschen macht, in Bezug auf die erfolgreiche und nutzenstiftende Verwendung von Web 2.0-Werkzeugen?

Für mich und mein Denken war ein Artikel von Stefan Hagen im Projektblog zur „Angst vor Fehlern!“ ein Schlüsseltext, der mein Denken beeinflusst hat. Aus leider auch ihm unbekannter Quelle zeigt er eine Gegenüberstellung von prototypischer „Misstrauenskultur“ vs. „Vertrauenskultur“:

Misstrauenskultur vs. Vertrauenskultur

Folgende Aspekte der Vertrauenskultur finde ich im Hinblick auf die erfolgreiche und nutzenstiftende Verwendung von Web 2.0-Werkzeugen besonders interessant, wenn wir „Technik“ und „Organisation“ als gegeben voraussetzen:

  • Systemisches Paradigma, Organisation als lebendes System, Lernende Organisation
  • Organisation zur Aktivierung des Leistungspotentials motivierter Mitarbeiter, Eigenkontrolle
  • Flache Hierarchie, Typ Selbstorganisation
  • Geringe Regelungsdichte, Beschränkung auf generelle Werte und Normen [in klarem Rahmen]

***

Meine These(n) dazu wäre:

  • Erst unter solchen Bedingungen bieten Web 2.0-Werkzeuge im Unternehmen einen Mehrwert, der über eine Erweiterung des Bestehenden hinausgeht.
  • Mitarbeiter werden Web 2.0-Werkzeuge nur dann effizienzsteigernder einsetzen, wenn sie für sich vom Potential überzeugt sind.
  • Mitarbeiter werden Web 2.0-Werkzeuge erst dann mit Überzeugung nutzen, wenn solche Bedingungen gegeben sind.
  • Wir entwickeln uns dahin, aber bis zur „Vertrauenskultur“ wird es noch etwas dauern.

***

->>> Die Ausgangsfrage aus dem Kundenworkshop, die zum Nachdenken in diesem Artikel geführt hat, war „Welches Potential hat Enterprise 2.0 für die Mitarbeiter?„. Dem gehe ich nach dieser Vorarbeit im zweiten Teil auf den Grund: Klick

***

[UPDATE 26.1.2012: Auf umsetzungsberatung.de fand ich noch einen wunderbaren Text darüber, was Vertrauen eigentlich sei, und in welchem Verhältnis Vertrauen und Kontrolle zueinander stehen]

 

19 Kommentare leave one →
  1. 23. Januar 2012 09:42

    Ein weiterer Aspekt, der nur bedingt angesprochen wurde ist die Zeit. Der Mitarbeiter muss während seiner Arbeitszeit die Möglichkeit haben Informationen bereitzustellen, zu hinterfragen, zu kommentieren, etc. Wird die Beteiligung an E2.0 nicht als Arbeitsleistung angesehen und gefordert, kann E2.0 nicht erfolgreich sein.

    • 23. Januar 2012 09:53

      Ein interessanter Aspekt! „Zeit“ könnte man noch in die tabellarische Übersicht mitaufnehmen. Z.B als „Zeitpläne vs. Zielvorgaben / Vertrauensarbeitszeit“

    • 26. Januar 2012 14:30

      Unter Zeit verstünde ich den Aspekt der Selbstorganisation: Kommen und Gehen wann es erlaub ist (bzw. arbeiten wo es erlaubt ist). Wobei das Wort „erlaubt“ schon wieder sehr fremdbestimmt wirkt 😉

      Gruß Bianca Gade

  2. 23. Januar 2012 17:22

    Zum Thema „Eine Frage der Kultur“ noch zwei Anmerkungen, die hier auf Seite 27 zu finden sind (aus „Interne Kommunikation auf der Suche nach dem Unternehmenswissen“) http://issuu.com/onabircse/docs/ebook_f._escribano

    Eine der anerkanntesten Definitionen für Unternehmenskultur stammt von Organisationsexperten Edgar Schein: „Ein Muster gemeinsamer Grundprämissen, das die Gruppe bei der Bewältigung ihrer Probleme externer Anpassung und interner Integration erlernt hat, das sich bewährt hat und somit als bindend gilt; und das daher an neue Mitglieder als rational und emotional korrekter Ansatz für den Umgang mit diesen Problemen weitergegeben wird“. (Schein 1995:S. 25) Oder sehr vereinfacht gesagt, Kultur beschreibt wie wir etwas machen, weil wir es schon immer so gemacht haben.

    „Kultur definiert Korridore, sie funktioniert im Netz wie ein Gewissen“, beschreibt Prof. Kruse. Sie lege fest, was im Netz gesagt und wie ein bestimmter Begriff verstanden wird. Der Vorteil gegenüber dem hierarchischen Modell: Sie funktioniert dezentral, weil in einer gemeinsamen Kultur alle Beteiligten selbst wissen, was geht und was nicht. Kultur ist demnach etwas ganz anderes als was Unternehmen bisher darunter verstanden haben: „Kultur ist kein abgehobenes Schönwetterthema, sondern ein harter strategischer Faktor“, sagt Kruse. Denn Netze werden erst durch Kultur intelligent. Im Enterprise 2.0 ist es daher Aufgabe der Unternehmensführung, diese Kultur zu formen.

    • 28. Januar 2012 11:43

      Grüß dich felmundo,

      der ausführliche Kommentar und die weiterführenden Links freuen mich. Folgenden Satz fand ich interessant, bin aber nicht so richtig damit einverstanden: „Kultur beschreibt wie wir etwas machen, weil wir es schon immer so gemacht haben“.

      Ich mein, würdest du das so unterschreiben? … Diese Definition ist doch ausschließlich vergangenheitsbezogen, mir fehlt darin auch jeder Bezug darauf, wie „wir“ mit aktuellen und zukünftigen Herausforderungen umgehen werden – was man für die Entwicklung einer Strategie ja zwingend muss.

      Aus meiner Sicht leistet „Kultur“ auch das: sie besteht auch aus Verfahren, wie wir uns als Gemeinschaft Neues aneignen bzw. Neues entwickeln. Ob wir z.B. neue Produkte in einem ausgeklügelten planerischen Vorgang erst entwickeln, und sie dann zur Verfügung stellen, oder ob wir nach dem Rapid-Prototyping-Prinzip iterativ entwickeln. Zwischen beidem liegen Welten in der Anschauung darüber, was „der richtige Weg“ sei.

      Ich glaube auf netzwertig.com wurde dieser Unterschied mal als typisch „deutsch“ vs. „angelsächsisch“ bezeichnet, bezogen auf Autos vs. Internet.

  3. 27. Januar 2012 12:05

    Vielen Dank für das Referenzieren meines Beitrags.

    Noch ein Punkt zu Kultur und Technologie: Vermutlich ist das Thema Kutur(änderung) immer mit einem Wechsel (Mitarbeiter, Führungskräfte) verbunden und dahert daher sehr, sehr lang (vielleicht sogar eine ganze Generation).

    • 28. Januar 2012 11:55

      Interessanter Punkt. Ich persönlich fände es traurig wenn es so wäre. Denn es würde bedeuten, denke ich, dass Menschen die einmal verinnerlichte (Arbeits-)Kultur nicht mehr ändern würden bzw. nur nach großem Widerstand.

      Eingeschränkt gebe ich aus dem Bauch heraus Recht, leider fehlen mir jetzt wissenschaftliche Belege. Allerdings habe ich den Eindruck dass verinnerlichte Kultur nicht vollkommen statisch ist – sowohl aus eigener Anschauung beim Kunden, als auch in der Literatur. Sowohl stützen als auch widersprechen würde eine Studie über Veränderungsbereitschaft, über die ich hier (http://wp.me/pdWed-1C) mal gebloggt habe.

      Und obendrein sind wir Menschen ja bekanntlich unterschiedlich :-). Gunther Dueck schrieb mal ein fantastisches Buch über den Persönlichkeitstypen in Unternehmen auf Basis des MBTI-Tests, und deren Einstellung zu Innovation, ebenfalls darüber gebloggt (http://wp.me/pdWed-g6).

      Vor dem Hintergrund gehe ich mit zu sagen: Ja, Kultur verändert sich nur langsam. Aber sie ändert sich. Und zwar schneller als auf den Wechsel der Führungskräfte warten zu müssen. Weil der unmittelbar greifbare Nutzen für die einzelnen Mitarbeiter aus meiner Sicht den Anreiz liefert weiterzumachen (Anreiz wäre z.B. höhere Effizienz, mehr Umsatz, Expertise, Reputation …) – was den Anreiz für einzelne ausmacht, darüber hat Dueck schon gut geschrieben.

  4. 30. Januar 2012 09:04

    Hallo Michael,

    „Kultur beschreibt wie wir etwas machen, weil wir es schon immer so gemacht haben“ ist natürlich ein Satz, der schon fast fatalistisch klingt und Widerspruch provoziert, provozieren soll. Wie bereits erwähnt, ist es eine Vereinfachung und hilft komplexe Themen einem skeptischen Publikum zu „verkaufen“. Aber grundsätzlich liegt meiner Meinung nach viel Wahres in diesem Satz – ganz ausdrücklich im Unternehmeskontext. Ich nehme mir die Freiheit, hier Unternehmenskultur gesondert zu betrachten. Weniger anpassungsfähig, schwieriges Umfeld für evolutionäre Prozesse. Wie in jedem Veränderungsprozess ist die Einsicht, dass eine Veränderung NOTWENDIG ist eine Grundvoraussetzung sein eigenes Verhalten in Frage zu stellen und eben zu verändern. Falls Veränderungsprozesse zur Unternehmenskultur gehören, wird eine tiefgreifende Veränderung wie es der Prozess zu einem Enterprise 2.0 darstellt zu bewältigen sein, „weil wir es immer schon so gemacht haben“. Falls es sich um eine Unternehmenskultur handelt, die sich grundsätzlich schwer damit getan hat, innovative organisatorische Maßnahmen zuzulassen, dann hat derselbe Satz natürlich ganz andere Konsequenzen. Unternehmenskultur ist vielleicht mehr als andere Kulturbegriffe vor allem eine Beschreibung dessen, wie wir in der Vergangenheit gehandelt haben (da dies unseren heutige Erfolg erklärt). Daraus schließen wir auf unser zukünftiges Verhalten. Wie gesagt, es handelt sich um einen sehr vereinfachten Satz, den ich aber im Unternehmenskontext – den dort arbeite ich – vermitteln muss, damit ich mir die Aufmerksamkeit der Zuhörer sichere.
    Gruß aus dem verschneiten Süden,
    Felix

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